Rüdersdorfer Heimattraum
Ein Heimattraum
Ein Mensch, der schon etwas betagt, den da und dort das Rheuma plagt, der bildet sich mitunter ein, noch jugendfrisch und fit zu sein.
Er träumt sich Jahre meist zurück, sucht heimatlich-verlorenes Glück.
Jüngst hatte er einen Traum – den wollen wir uns mal beschau'n: Durch die Grüne Kehle rannte er geschwind,
die Bäume raschelten sanft im Wind.
Ein Bad im Heinitzsee wollte er genießen und sich danach sonnen auf den Wiesen.
Euch allen ist der See bekannt – einst wurde er auch Königsee der Mark genannt.
Seine Romantik und Schönheit zog Groß und Klein an – einen schöneren See man nirgends fand.
Sogar die Ufa hinterließ ihre Spur – man drehte mit Hans Albers den „Tiger von Eschnapur“.
Nun schaut er geisterhaft und stumm hinauf zum alten Glockenturm. Doch geht er hin, dann stellt er fest, wie sich sein Geist verwirren läßt. Die Wege ähneln sich oft sehr, der Baum – ein Strauch – sein Herz wird schwer.
Einsam und allein, wie er da steht, da tut ihm doch sein Herz sehr weh. Was hat der Turm so alles belauscht, na und die schöne Aussicht, die hatte man auch.
Nun geht er zurück, an den alten Kalköfen vorbei und sein Herz wird allmählich wieder frei.
Jetzt schnell bei Rademacher's etwas essen, - wie gerne hatte man da gesessen – ein Schnaps – ein Bier für Heimatdurst.
Bei Naukes Fleischer gab's Frische Wurst.
Nun noch über den an Kumpelsteg rasen -
und bei Friseur Donke die Haare schneiden lassen.
Nun wird er mit der alten Bimmelbahn zum Marktplatz hinuntergefahren.
Den Konsumberg hinauf, - er sieht sich um und denkt:
da stand doch mal ein Aussichtsturm?
Oben auf dem Berg verzweigt, ins alte Rüdersdorf hinein und links zum Bruch ins Kalkgestein – steht eine Uhr, die jedem zeigt – die Stunden an bei Sonnenschein. Die Rüdersdorfer Sonnenuhr, die jeder Rüdersdorfer kennt, ist ein altes Monument, es trägt der Flechten gelbe Spur und ist bestäubt grau von Zement.
Die Sonnenuhr kennt noch die Zeit, als eine Taschenuhr recht teuer war. Und darum bei schönem Wetter war sie jedem Bergmann stets bereit, die Zeit zu weisen Jahr für Jahr.
Heute steht sie am Kalkberger Platz, sieht die Auto vorbeirasen.
„Nicht jeder Sonnenuntergang beschenkte Rüdersdorf mit Glück“ – So dachte in die Zeit zurück der Bergmann auf der Kalksteinbank und beschaute dabei das Kalksteinstück, das Meister Steinmetz einst gelang.
Nun schreitet er hurtig den Konsumberg runter – Herr Marchand grüßt im Vorbeigehen munter.
Zu Liebkopf geht man noch rein – der tauscht gerade einen Rabatt im Konsum ein.
So geht er weiter unterdessen – in die Traube – ein Eisbein essen.
Bei Titten-Betty schnell ein Bier, der Met-Onkel steht vor der Tür –
beim Aussichtswirt ist heut noch zu, man braucht ja auch mal seine Ruh.
Elf Lokale auf einen Fleck – und sie lebten alle – und gar nicht schlecht.
Ein Ausflugsdampfer legte am Kesselsee an und viele gingen an Land.
Nun steht er und sieht auf dem Marktplatz ein Zelt – viele Buden, Karussell und Schaukel sind aufgestellt. Da schärft er seinen Sinn und stellt fest: In Rüdersdorf ist ja Bergmannsfest.
Schon hört er Blasmusik näher kommen – die Bergknappen folgen mit ihren schönen Uniformen.
Ganz Rüdersdorf und Umgebung war auf den Beinen – Wer nicht mit konnte, hatte wirklich Grund zum Weinen.
Nun blickt er essen- und trinken überladen – bekamst du das Wimmer, du konntest übernachten – denn dort gab es auch Fremdenzimmer.
An der Ecke in der Stammkneipe – Rengel – auch blauer Engel.
Wer frisches Wellfleisch nicht verachtet, beim Gembus-Fleischer wurde gerade geschlachtet.
Bei Uhrmacher Räthel eine Uhr gekauft – bei Rubin ist gerade Ausverkauf.
Man schaut bei Räthel nach der Zeit, im Kaufhaus Schulz ein schickes Kleid.
Beim Stammbäcker geht er rein und kaufte frische Brötchen ein –
und in der Finsterbuschen-Drogerie gab’s den Duft der Welt für über’s Knie.
Cherkowski vor der Türe stand – „weiße Wolke“ wurde er auch genannt. Wenn der was nicht hatte, was ihm ging gegen den Strich –zeigte er auf ein Bildchen, drauf stand: „Ham ‚wa nicht“.
Frau Langner, ein Lebensmittelgeschäft – dort kaufte er Butter und Käse ein. Die Bedienung war höflich und flott und Frau Langner hatte für alle ein freundliches Wort.
Von Spielwaren Neumann hörte er Musik – ihr Schaufenster war der Kinder großes Glück.
Foto: D. Nickel
Bei Koven nimmt er so im Schritt schnell noch eine Ansichtskarte mit.
Im Kunstgewerbe, da gab’s schaue Sachen, da fand jeder was zum Glücklichmachen.
Bei Reißner Blumen – gelb und blau, geht gerade rein die Bürgermeisterfrau.
Er lässt nun Doktor Schwieder sein, hat gerade von ihm einen Krankenschein.
Bei Butter-Anna guckt er rein, doch Karlchen ist grad nicht daheim.
Bei Dr. Morgenstern vorbei,
da hört er plötzlich einen Schrei, die Eisermann pflastert Knochen ein.
Auch Rosi hat sie oft besprochen – und so ist mal einer vor Angst bei ihr unter den Tisch gekrochen.
Zu Foto-Erhardt wird er gehen – heut ist er gerade fotogen.
Für Spenglers ist es jetzt zu spät – wir leben ja zurzeit Diät.
Von Bade kommt so ein komischer Geruch, da rennt einer weiter –
dem Möbelhaus Rudolph zu. Im Fenster so ein schönes Sofa stand, sein altes er mal auf der Auktion erstand.
Über die Peter-Lübkes-Brücke die Karlstraße runter, dem Kalksee entgegen, er ist wieder munter.
Dort fahren gerade die Rüdersdorfer rauf und runter. Für die war damals schon „trimm dich“.
Wir mussten arbeiten und ich bleibe dabei: Das war auch für uns die beste Trimmerei.
Wie ich so dastehe und rüberschiele – kommt gerade Herr Reimann mit seiner „Elfriede“.
Bei Tante Lieschen legte er an, will durch den Kanal zum Stienitzsee fahr’n.
Bei Liesegang bleibt er plötzlich steh’n. Was meint ihr, was ich dort in der Nähe seh? – Da rannten Inder mit Turban herum. Indische Tempel und noch so Attrappen steh’n. Ich denk: „Donnerwetter!“ – was sind das für Klamotten? Da wurde ein Film gedreht, „Das Indische Grabmal“. Ihr habt es alle gesehen.
Nun wird er zum Schluß noch Vater Schöpe besuchen und freut sich auf Kaffee und selbstgebackenen Kuchen. Da war heute wieder ein Betrieb, die Alten beim Tanz und die Jugend beim Spiel. Unten am Kalksee sprangen Badelustige rein und schon gab’s die schönste Planscherei. Die kannten damals noch keinen Badeanzug und heiße Höschen, denen langten die Schlüpfer und 'ne Schürze fürs Döschen. Die Jungen tauchten gerade ein Mädchen unter, daß die heut noch lebt ist ein Wunder.
Nun ist er geschafft – die Kleider runter – wird nach dem Sonnenbad erst wieder munter. Er liegt am Kalksee, hat nur geträumt, im Traume keine Zeit versäumt.
Der Gang nach Rüdersdorf unterdessen, der bleibt im Herzen unvergessen. Heut sieht es freilich anders aus, - und mancher denkt – er währ wohl dort nicht mehr zu Haus.
Da steht er da und denkt bedacht, oh Rüdersdorf, oh Rüdersdorf, was haben sie aus dir nur gemacht.
Doch Heimat – die ist euch geblieben, sie wohnt im Herzen.
Margarete Polte
Margarete Polte wurde am 15.02.1913 geboren. Sie arbeitete von 1950 bis 1974 im Chemiewerk Rüdersdorf als Laborantin. Sie verstarb am 31.05.2019.
Das Gedicht beschreibt Rüdersdorf in den 1950er-Jahren und entstand sicher nach der Teilortsverlagerung Ende der 1970er-Jahre, was den traurigen Schluss erklärt.
Wir fügen aktuelle Bilder hinzu, um zu zeigen, dass Rüdersdorf schon wieder vieles vom alten Glanz zurückerlangt hat.
Ihre Rüdersdorfer Heimatfreunde
Blick auf den Kalksee im Sommer 2013
Die Rehaklinik von der Seeseite
Einweihung des neuen Glockenturmes am 19.06.2004
Der neue Marktplatz
Bilder: Bilderarchiv Rüdersdorfer Heimatfreunde e.V., D. Nickel